Neues Urteil: Hohes Honorar spricht gegen Scheinselbständigkeit

Wenn freie Mitarbeiter zu Scheinselbständigen erklärt werden, führt dies zu immensen Nachzahlungen, Bußgeldern und arbeitsrechtlichen Verpflichtungen. Ein neues Urteil des Bundessozialgerichts lässt jetzt hoffen: Erstmals soll die Höhe des Honorars ein gewichtiges Indiz gegen eine Scheinselbständigkeit sein. Jetzt lohnt es sich erst recht, solche Auftragsverhältnisse mit geringem Aufwand so zu gestalten, dass Zoll und Rentenversicherungsträger keine Ansatzpunkte finden.

Gerade in der IT-Branche gehört es zum Alltag, dass hochspezialisierte Experten über Monate oder Jahre hinweg ein Unternehmen betreuen, ohne dort angestellt zu sein. Sie sind entweder freie Mitarbeiter oder sogar Angestellte eines anderen Unternehmens; in den Augen der deutschen Rentenversicherung waren sie jedoch häufig weisungsabhängige und eingegliederte Arbeitnehmer des Kunden. Dies führte zu Nachforderungen von Sozialversicherungsbeiträgen, Rückforderungen von Umsatzsteuern und Bußgeldern gegen die beteiligten Unternehmen. Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz wurde zum 01.04.2017 noch einmal erheblich verschärft, um verbliebene Schlupflöcher zu schließen.

Große Unternehmen haben daher aus Vorsicht Regeln aufgestellt, wonach überhaupt keine freien Mitarbeiter mehr beschäftigt werden dürfen und alle anderen Auftragnehmer außerhalb vom Werksgelände ihre Büros anmieten mussten.

Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz war gut gemeint, um scheinselbständige Arbeitnehmer vor Ausbeutung und der Vorenthaltung von arbeitsrechtlichen Ansprüchen zu schützen. Es traf dabei aber auch diejenigen, die viel lieber für Tagessätze zwischen 500,00 € bis 2.000,00 € Rechnungen schrieben, als Tarifgehalt zu verdienen.

Die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 31.03.2017 ist jetzt ein radikaler Wendepunkt in der Rechtsprechung und damit auch in der künftigen Praxis der Versicherungsträger. Das Gericht hatte entschieden, dass bei der Gesamtabwägung die Höhe des Honorars ein gewichtiges Indiz gegen eine Scheinselbständigkeit darstellen könne. Wenn nämlich ein Honorar so bemessen sei, dass es oberhalb der Vergütung eines vergleichbaren Angestellten liege und damit auch eine eigene Altersvorsorge ermögliche, sei dies ein gewichtiges Indiz für eine selbständige Tätigkeit. Im zugrundeliegenden Fall betrug das Honorar sogar „nur“ knapp über 40,00 € pro Stunde. Ein selbständiger Heilpädagoge war für einen Landkreis im Bereich der Jugendhilfe tätig, verfügte über keine eigene Betriebsstätte und musste seine Leistungen sogar höchstpersönlich erbringen. Die deutsche Rentenversicherung hatte festgestellt, dass der Heilpädagoge der Sozialversicherungspflicht unterliegen sollte und scheiterte damit vor dem Bundessozialgericht.

Wer jetzt glaubt, ab 40,00 € pro Stunde gibt es keine Scheinselbständigkeit mehr, irrt sich natürlich. Solche klaren Regelungen wären ja zu einfach. Da ist wieder von Gesamtwürdigung und Abwägung aller Umstände des Einzelfalles die Rede, so dass man sich zu Recht fragt: Was ändert sich denn jetzt mit diesem neuen gewichtigen Indiz?

Die Einschätzung von Scheinselbständigkeit ist zwar komplex, aber mit 20 – 30 Fragen zu klären. Ein hohes Honorar hilft nicht, wenn auf der anderen Seite der Mitarbeiter seinen Urlaub wie ein Arbeitnehmer beantragen muss und Weißungen auf allen Ebenen des Auftraggebers erhält. Bei IT-Dienstleistern, die tief in einem Kundenprojekt eingebunden sind, kommt es vor allem darauf an, Rechts- und Weisungsbefugnisse klar zu regeln. Bei einem Stuttgarter Autobauer wurde der IT-Dienstleister deswegen zum Arbeitnehmer ernannt, weil er immer wieder spontane Arbeitsanweisungen auf dem Flur von unterschiedlichen Mitarbeitern erhalten hatte. Ein anderer Themenkomplex ist die Erkennbarkeit als externer Mitarbeiter in Adressverzeichnissen, an der Berufskleidung und in E-Mail-Signaturen. Hier lassen sich mit einfachen Maßnahmen die entscheidenden Punkte in der Gesamtbewertung holen. Durch die neue Entscheidung des Bundessozialgerichts ist die Abwägung zwar wieder ein Stück komplexer geworden, dafür bestehen jedoch für viele Auftragsverhältnisse wieder realistische Chancen, die Scheinselbständigkeit zu vermeiden.

Um nicht jeden Fall nach Bauchgefühl einschätzen und mit haftungsausschließenden Unverbindlichkeiten beantworten zu müssen, haben wir für unsere Mandanten Checklisten ausgearbeitet, um Fälle gleichmäßig beurteilen zu können. Mit dem neuen Urteil werden wir das Bewertungsschema neu anpassen und dadurch werden manche Fälle von unzulässig auf zulässig umspringen.

Mini Checkliste für Scheinselbständigkeit:

Ist mein freier Mitarbeiter scheinselbständig?

  • Mitarbeiter muss sich an bestimmte Arbeitszeiten halten
  • Auftraggeber sagt dem Mitarbeiter, was und wie er es zu bearbeiten hat
  • Von außen ist der Mitarbeiter nicht als externer Mitarbeiter zu erkennen
  • Honorar ist nicht wesentlich höher als ein vergleichbarer Bruttolohn
  • Mitarbeiter hat keine oder nur wenig andere Auftraggeber
  • Mitarbeiter hat keine sozialversicherungspflichtigen Angestellten

Wenn mehr als drei Merkmale zutreffen, muss noch keine Scheinselbständigkeit vorliegen, sie sollten das Auftragsverhältnis jedoch genauer überprüfen lassen und anpassen.

Welche Folgen hat Scheinselbständigkeit?

Scheinselbständigkeit trifft zunächst den Auftraggeber hart. Die folgenden Konsequenzen sind möglich:

  • Rentenversicherungsträger verlangt auf Grundlage des gezahlten Honorars knapp 40 % Sozialversicherungsbeiträge für mehrere Jahre rückwirkend
  • 19 % Mehrwertsteuer, die als Vorsteuer geltend gemacht wurden, müssen ans Finanzamt zurückgezahlt werden
  • Auftraggeber haftet für Lohnsteuern
  • Der neue Arbeitnehmer hat Anspruch auf alle Privilegien eines Arbeitnehmers, einschließlich Kündigungsschutz
  • Bußgelder und Geldstrafen möglich