Jameda-Urteil: Rechte der bewerteten Ärzte rücken in den Fokus

26.04.2016 – Ergänzend zu unserem Artikel über die Pressemitteilung des BGH vom 01.03.2016 liegt nun auch die Volltext der Urteilsbegründung vor (Az.: VI ZR 34/15), welche wir für sie kurz zusammengefasst haben.

Kernaussagen des Urteils:

  1. Verantwortlichkeit des Hostproviders begründet, sobald er Kenntnis von der Rechtsverletzung erlangt.
  2. Ausdehnung der Prüfungspflicht des Hostproviders in den Fällen, in welchen belegbare Tatsachenbehauptungen beanstandet werden.
  3. Weiterhin kein Auskunftsanspruch des bewerteten Arztes gegenüber Portalbetreiber bezüglich der zur Identifizierung des Bewertenden erforderlichen Informationen.

Um was ging es

Der Kläger des Verfahrens ist Zahnarzt und betreibt eine Zahnarztpraxis mit insgesamt zehn Ärzten und 60 nichtärztlichen Angestellten. Die Beklagte ist die Betreiberin des Ärztebewertungsportales „www.jameda.de“. Dort besteht für registrierte Nutzer die Möglichkeit die Tätigkeiten von Ärzten zu bewerten. Im August 2013 stellte ein unter einem Pseudonym auftretender Nutzer eine sehr negative Bewertung des Klägers in das Portal ein.

Der klagende Arzt widersprach der abgegebenen Bewertung indem er bestritt, dass überhaupt eine Behandlung stattgefunden hat.

Auf diesen Widerspruch wurde die Bewertung von der Portalseite entfernt. Diese wurde jedoch nach kurzer Zeit mit dem Hinweis, dass der betreffende Nutzer den Inhalt der abgegebenen Bewertung auf Nachfrage der Portalbetreiber bestätigt hat, wieder zugänglich gemacht. Hierzu musste der Nutzer lediglich kurz (in zwei Sätzen) schildern, welche Vorkommnisse ihn dazu veranlasst hatten, eine derartige Bewertung abzugeben. Die geschilderten Abläufe bestätigende Belege wurden von den Portalbetreibern dabei nicht verlangt.

Dies wollte der klagende Zahnarzt so nicht hinnehmen und nahm die Beklagte gerichtlich darauf in Anspruch, es zu unterlassen, die ihn betreffende Bewertung zu verbreiten und/oder verbreiten zu lassen.


Bisheriges Verfahren

Das Landgericht Köln (LG Köln – Urteil vom 9. Juli 2014 – 28 O 516/13) gab dem Anspruch des Klägers statt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandgericht Köln (OLG Köln – Urteil vom 16. Dezember 2014 – 15 U 141/14) das landgerichtliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Unterlassungsbegehren weiter.


Entscheidung des BGH

Haftung der Netzbetreiber bei Kenntnis und Verletzung von Prüfpflichten

Der BGH sieht anders als das Berufungsgericht die Beklagte als mittelbare Störerin bezüglich der eingestellten Bewertung an. Als mittelbarer Störer ist verpflichtet, wer, ohne unmittelbarer Störer zu sein, in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal zur Beeinträchtigung des Rechtsgutes beiträgt. Dabei kann als Beitrag auch die Unterstützung oder Ausnutzung der Handlung eines eigenverantwortlich handelnden Dritten genügen, sofern der in Anspruch genommene die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit zur Verhinderung dieser Handlung hatte.

Aus diesen Grundsätzen leitet der BGH ab, dass Hostprovider nicht verpflichtet sind, die von Nutzern auf ihrer Seite veröffentlichten Beiträge vor der Veröffentlichung auf eventuelle Rechtsverletzungen zu überprüfen. Diese Prüfpflicht entsteht erst durch Beanstandung der von der Bewertung Betroffenen. Ab Kenntniserlangung muss die Aufklärung des Sachverhaltes durch die Hostprovider jedoch verstärkt betreiben und gegebenenfalls dazu beitragen werden, künftige derartige Störungen zu vermeiden.

Nach der Einschätzung des BGH bedarf die Frage, ob durch die Bewertung eine Rechtsverletzung vorliegt, einer umfassenden Interessenabwägung des Rechts des Betroffenen auf Schutz seiner Persönlichkeit aus Art. 1 Abs. 1Art. 2 Abs. 1 GGArt. 8 Abs. 1 EMRK und dem durch Art. 5 Abs. 1 GGArt. 10 EMRK geschützten Recht des Providers auf Meinungs- und Medienfreiheit.

Liegt der angegriffenen Bewertung kein Behandlungskontakt zugrunde, überwiegt nach Ansicht des BGH das Interesse des betroffenen Arztes am Schutz seiner sozialen Anerkennung und seiner Berufsehre gegenüber dem Interesse des Bewertenden und der beklagten Portalbetreiber, diese Meinung zu verbreiten. Es kann kein Interesse des Erstellers der Bewertung oder der Hostprovider bestehen, erfundene Behandlungen zu bewerten und diese der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Umfangreichere Prüfpflicht der Netzprovider 

Da das Vorliegen einer tatsächlichen Behandlung für die Beurteilung der Rechtsverletzung der Beklagten ausschlaggebend ist, ist der Hostprovider gehalten, den Behandlungsablauf umfänglich zu ermitteln.

Diese umfassende Prüfpflicht der Hostprovider ist gerechtfertigt, da die Bewertungen verdeckt abgegeben werden können, was es dem Arzt nahezu unmöglich macht, unmittelbar gegen den betreffenden Portalnutzer selbst vorzugehen. Der BGH sieht daher in der umfänglichen und gewissenhaften Prüfung der Beanstandungen von betroffenen Ärzten durch die Portalbetreiber die entscheidende Voraussetzung dafür, dass die Persönlichkeitsrechte der bewerteten Ärzte beim Portalbetrieb hinreichend geschützt werden.

Als konkrete Maßnahmen der Portalbetreiber nennt der BGH etwa, den Bewertenden aufzufordern, den Behandlungsverlauf möglichst genau zu beschreiben und die Behandlung belegende Unterlagen, wie etwa vorhandene Rechnungen, Terminkarten, Eintragungen in Bonushefte, Rezepte oder sonstige Indizien, zu übermitteln.

Beschränkter Auskunftsanspruch der betroffenen Ärzte

Weiterhin sperrt sich der BGH gegen die Ansprüche der betroffenen Ärzte, von den Hostprovidern die zur Identifikation der jeweiligen Beitragsersteller erforderlichen Daten verlangen zu können und hält damit die Fahne Datenschutz weiterhin hoch. Ausgeweitet wird die Informationspflicht der Hostprovider aber dahingehend, dass sie diejenigen Informationen und Unterlagen über die behauptete Behandlung weiterleiten müssen, zu welcher sie ohne Verstoß gegen § 12 Abs. 1 TMG in der Lage sind.


Folgen in der Praxis

Mit seinem Urteil geht der BGH einen weiteren Schritt in die richtige Richtung. Zwar wird es den Nutzern von Bewertungsportalen weiterhin erlaubt sein, ihre Bewertungen auch anonym abzugeben. Das Urteil des BGH stärkt jedoch die Rechtstellung der bewerteten Ärzte dafür im repressiven Bereich.

Einerseits können diese nun mit der Behauptung, eine Behandlung habe überhaupt nicht stattgefunden, eine umfangreiche Prüfpflicht der Porteilbetreiber auslösen. Auf der anderen Seite sind die Portalbetreiber gehalten, den Ärzten datenschutzrechtlich unbedenkliche Informationen, wie etwa den groben Behandlungszeitraum, weiterzuleiten, so dass die Ärzten, die der Bewertung zu Grunde liegenden Tatsachen einfacher nachvollziehen und gegebenenfalls widerlegen können.