Kein urheberrechtlicher Schutz mehr für Bearbeiter von Software? – Unser Statement

18.08.2016 – Sind Bearbeiter von Software zukünftig urheberrechtlich schutzlos? – Unser Statement zur VMware-Entscheidung des Landgerichts Hamburg.

Nach der aktuellen Entscheidung des Landgerichts Hamburg in Sachen Hellwig ./. VMware muss man die Frage stellen, ob ab jetzt durchschnittliche Softwareentwickler, die bestehende Computerprogramme bearbeiten, nach dem Urheberrecht schutzlos gestellt werden. Die Hamburger Richter haben Hellwigs Klage unter anderem mit der Begründung abgelehnt, es sei nicht ausreichend vorgetragen worden, dass Hellwigs Bearbeitungen über die Leistungen eines Durchschnittsprogrammierers hinausgehen.

Keine Klärung wesentlicher Fragen im Open Source Recht

Eigentlich hätte man erwartet, dass sich das Landgericht Hamburg in seinem Urteil mit wesentlichen und bisher äußerst umstrittenen Fragen des Open Source Rechts im Zusammenhang mit der GPLv2 und Linux auseinandersetzt. Die vor allem zu klärende Kernfrage betraf die Reichweite des Copylefts der GPLv2 und der Interaktion von unter dieser strengen Open Source Lizenz lizenzierten Komponenten des Betriebssystems Linux und proprietären Programmkomponenten, im Streitfall Eigenentwicklungen von VMware.

Doch weit gefehlt: Die Hamburger Richter haben die Klage bereits vor der Erhebung von Beweisen wegen fehlender Substantiiertheit des klägerischen Sachverhalts abgewiesen. Ein Paukenschlag, denn die Argumentation des Landgerichts Hamburg kann nach unserer Rechtsauffassung nicht überzeugen.


Urheberrecht an bearbeiteter Software angeblich nur bei hinreichender Individualität und Komplexität

Das Landgericht Hamburg setzt für den Urheberrechtsschutz für Bearbeitungen an Computerprogrammen einen verfehlten Maßstab an: Schon im Ausgangspunkt geht das Landgericht davon aus, dass ein Entwickler, der ein bestehendes Computerprogramm bearbeitet, nur dann Urheberrechtsschutz für seine Bearbeitung beanspruchen könne, wenn die Bearbeitung über die Leistung eines Durchschnittsprogrammierer hinausgehe. Als weitere Kriterien für den Urheberrechtsschutz an einer solchen Bearbeitung nennt das Gericht, dass sich „die Programmierung oder Umarbeitung von einer rein handwerklichen Programmierung abheben oder für sich genommen eine ausreichende Komplexität aufweisen“ müsse.

Beim Lesen dieser Passagen des Urteils fühlt man sich unweigerlich in die „computerrechtliche Steinzeit“ versetzt. In den 70er und 80er Jahren waren Computerprogramme nur dann geschützt, wenn sie den hohen Anforderungen an urheberrechtliche Werke genügten, also ein hinreichendes Maß an Individualität und Schöpfungshöhe aufwiesen. Im Jahr 1991 leitete jedoch der europäische Gesetzgeber mit der Verabschiedung der Computerprogramm-Richtlinie eine Kehrtwende ein und senkte den Urheberrechtsschutz für Computerprogramme bewusst unter das Niveau einer persönlich geistigen Schöpfung, die Individualität und Schöpfungshöhe voraussetzt. Fortan genügte jede nicht völlig triviale Programmierungsleistung für den Urheberrechtsschutz als Computerprogramm.

Der deutsche Gesetzgeber hat die europäischen Richtlinienerfordernisse in den §§ 69a ff. UrhG umgesetzt, wobei hier dieser abgesenkte Schutz ausdrücklich legal definiert wird: Für die Beurteilung des Schutzes als Computerprogramms kommt es nicht auf ästhetische oder gestalterische Merkmale an.

Abgesenkte Schutzhürde auch für Bearbeitungen von Computerprogrammen

Diese abgesenkte Schutzhürde muss schon denklogisch auch für Bearbeitungen von Computerprogrammen gelten. Zwar setzt § 3 UrhG für Bearbeitungen ebenfalls eine persönlich geistige Schöpfung voraus. Jedoch ist in richtlinienkonformer Auslegung dieses Schutzniveau nicht auf Computerprogramme zu übertragen, worüber sich das Landgericht Hamburg ganz offensichtlich entweder aus Ahnungs- oder Lustlosigkeit hinwegsetzt.

In der juristischen Literatur und auch vom BGH ist dagegen folgende Rechtsansicht maßgeblich: Für Bearbeitungen gelten keine eigenen Anforderungen an die Gestaltungshöhe; vielmehr folgen die Anforderungen an die Gestaltungshöhe bei Bearbeitungen denjenigen, die an die zugrunde liegende Werkart zu stellen sind. Ist für das bearbeitete Originalwerk ein großzügiger Maßstab an den urheberrechtlichen Schutz anzulegen und auch die kleine Münze geschützt, genügt auch für die Bearbeitung gem. § 3 UrhG ein geringer Grad individuellen Schaffens (BGH GRUR 2000, 144, 145).

Überzogene Anforderungen an die Substantiiertheit des klägerischen Sachvortrags

Darüber hinaus hat das Landgericht Hamburg die Anforderungen an einen substantiierten klägerischen Sachvortrag überspannt. So werden in den Entscheidungsgründen vom Kläger angebotene Beweismittel in Form von Zeugen und Sachverständigengutachten mit dem pauschalen Verweis des Gerichts, dass diese der Ausforschung dienen, verworfen. Der klägerische Vortrag dürfte hier hinreichend substantiiert gewesen sein, auch wenn uns der vollständige Einblick in die Verfahrensunterlagen fehlt. Aber der Kläger war jedenfalls in der Lage, seine Bearbeitungsteile an Teilen des Linux-Kernels darzulegen und zu beweisen. Dies gilt ebenso für von VMware in ihre Software übernommene Anteile des Quellcodes. Das Landgericht hätte einfach nur eine Schablone anlegen müssen, um eine ggf. fehlende, aber vorgetragene Verknüpfung herzustellen. Sofern die IT-Expertise der Hamburger Richter hierfür nicht ausreichend gewesen ist, hätte es der Einholung eines Sachverständigengutachtens bedurft, um diese Wissenlücke zu schließen. Es ist nicht die Pflicht des Klägers, schon ein fertiges Sachverständigengutachten vorzulegen, nur um die Einholung eines solche Gutachtens beantragen zu dürfen.

Verletzung des rechtlichen Gehörs des Klägers

Indem Beweisangeboten trotz – soweit erkennbar – umfassenden Sachvortrags des Klägers vom Gericht keine Beachtung geschenkt wurde, kommt zudem eine Verletzung des rechtlichen Gehörs des Klägers in Betracht. Diese Position ist als Grundrecht nach Art. 103 GG geschützt.

Wir würden uns wünschen, dass in der Berufungsinstanz die klärungsbedürftigen Fragen zum „derivative work“ bei Copyleft-Effekten die Entscheidung prägen und nicht das fehlende Verständnis für IT-Recht von überforderten Richtern.